Barbara Schmidbauer (SPD): Weg mit den Barrieren in den Köpfen

Barbara Schmidbauer ist Mutter einer behinderten Tochter und vor allem als Mitglied des Europäischen Parlamentes setzt sie sich seit langem für die Interessen behinderter Männer und Frauen ein. Das neueste Ergebnis dieser Arbeit in den europäischen Gremien sind die Leitlinien für Behinderte. Als Meilenstein hin zu einer einheitlichen europäischen Gesetzgebung, die die spezifischen Belange behinderter Menschen berücksichtigt, wurden sie bei dem gerade zu Ende gegangenen Kongreß des Zusammenschlusses der sozialdemokratischen Parteien Europas vorgestellt. Auf diesem Parteitag waren alle Parteichefs sozialdemokratischer Parteien Europas, darunter elf Regierungschefs anwesend. Die "Leitlinien für Behinderte" wurden diesen überreicht mit der Aufforderung, sie in europäisches Recht umzusetzen.

Barbara Schmidbauer übergibt "Leitlinien gegen Diskriminierung von behinderten Menschen" an europäische Partei- und Regierungschefs.

"Die Lage behinderter Menschen ist nach wie vor durch ungleiche Chancen im Alltagsleben gekennzeichnet", kritisiert die SPD-Europaabgeordnete Barbara Schmidbauer (Darmstadt). Auf dem Kongreß der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) in Mailand übergab die Vorsitzende der Intergruppe behinderte Menschen Leitlinien zur Integration von behinderten Menschen an die sozialdemokratischen Partei- und Regierungschefs. In 13 von 15 Staaten der Europäischen Union werden die Regierungen von Sozialdemokraten mitverantwortet.

Barbara Schmidbauer forderte die anwesenden Regierungschefs, darunter Gerhard Schröder, Lionel Jospin und Tony Blair auf, für eine volle Integration behinderter Menschen in Gesellschaft, Bildung und Arbeitsmarkt zu sorgen: "Eine Gesellschaft für alle darf niemanden ausgrenzen. Eine Behinderung darf nicht dazu führen, von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen zu werden", so Barbara Schmidbauer.

Der im Vertrag von Amsterdam enthaltene Nicht-Diskriminierungs-Artikel müsse zum Anlaß genommen werden, eine Rahmenrichtlinie zu erlassen, die das Nicht-Diskriminierungs-Gebot für alle in die Zuständigkeit der Europäischen Union fallenden Politikbereiche festschreibt. "Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien können dazu beitragen", so die SPD-Politikerin, "Arbeitsplätze und Arbeitsmethoden so zu gestalten, daß sie für alle zugänglich werden. Es besteht kein Grund, behinderte Menschen von Arbeitsmarkt auszugrenzen. Freizügigkeit innerhalb der EU darf für behinderte Menschen kein Fremdwort sein."

Dabei müsse im Auge behalten werden, daß behinderte Frauen doppelt diskriminiert sind - wegen ihres Geschlechts und wegen ihrer Behinderung. Zwei Drittel der behinderten Arbeitslosen seien Frauen, nur ein Drittel Männer. Ziel der insgesamt elf vorgelegten Leitlinien sei es vor allem, behinderte Menschen sichtbar zu machen und ihre Rechte zu garantieren. "Behinderte Menschen brauchen kein caritatives Mitleid, sondern die Voraussetzung für ein freies und selbstbestimmtes Leben ohne Diskriminierung. Dafür ist die wichtigste Voraussetzung, die Barrieren in den Köpfen abzubauen."

Eine Gesellschaft für alle

Sozialdemokratische Leitlinie für behinderte Frauen und Männer

Allen Bürgerinnen und Bürgern Chancen zu bieten, ist eines der wichtigsten Ziele der Beschäftigungs- und Sozialpolitik in Europa. Zu viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger werden in der Gesellschaft diskriminiert. Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stellen fest, daß die Lage der behinderten Frauen und Männer nach wie vor durch ungleiche Chancen im Alltagsleben gekennzeichnet ist.

Die wirtschaftliche Integration in der Union ist mittlerweile weit fortgeschritten, und die Einführung einer einheitlichen Währung ist Realität geworden. Das nächste Ziel muß nun die Stärkung der sozialen Dimension Europas sein. Die europäischen Bürgerinnen und Bürger haben mit Recht das Gefühl, daß dringendst durch konkrete Maßnahmen eine gleichnamige Bedeutung von Stabilität, Nachhaltigkeit und Solidarität geschaffen werden muß. Die europäische Beschäftigungspolitik, die auf dem Prinzip ‘Benchmarks’, europäischen und nationalen Zielgrößen, sowie auf qualitativen und quantitativen Indikatoren beruht, hat gezeigt, inwieweit die europäische Politik der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten einen Mehrwert verleihen kann. Diese Herangehensweise sollte zu gemeinsamen wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Maßnahmen und zu solidarischem Handeln ausgeweitet werden und so allen Bürgerinnen und Bürgern in Europas Wohlstandsgesellschaft - ungeachtet ihrer Stellung auf dem Arbeitsmarkt - Chancen bieten.

Eine weitergehende Sozialpolitik der EU sollte eine Politik des "Mainstreaming" für behinderte Menschen bei allen Initiativen und Maßnahmen auf EU-Ebene und auf nationaler Ebene widerspiegeln und darauf aufbauen. Gleichzeitig sollte sie in doppelter Weise darauf abzielen, daß Menschen mit Behinderungen ihre Menschenrechte wahrnehmen können und eine Gesellschaft ohne Ausgrenzung entsteht, sowie zum anderen Arbeitsplätze schaffen und damit auch denjenigen Bürgerinnen und Bürgern dienen, die heute an den Rand gedrängt und chancenlos sind.

Artikel 13 und Artikel 137 des neuen Vertrags von Amsterdam über Nichtdiskriminierung bzw. Bekämpfung sozialer Ausgrenzung bieten einen allgemeinen rechtlichen Rahmen, um gemeinsame Aktionen der Union und der Mitgliedstaaten zur Bekämpfung von Diskriminierung und zur Förderung der Einbeziehung benachteiligter Gruppen, insbesondere der behinderten Frauen und Männer, durchzuführen.

Im Vertrag von Amsterdam wurden auch hier wichtige neue Elemente eingeführt, die es ermöglichen, bei der Ausarbeitung der Rechtsvorschriften für den Binnenmarkt, die Bedürfnisse behinderter Menschen von Anfang an zu berücksichtigen.

Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten vertreten daher die Ansicht, daß folgende Initiativen die Chancen behinderter Menschen in der Zukunft verbessern sollten:

  1. Rahmenrichtlinie gegen Diskriminierungen gemäß Art. 13 des Vertrages von Amsterdam zur Unterstützung von Nichtdiskriminierung behinderter Menschen für alle in die Zuständigkeit der EU fallenden Politikbereiche, einschließlich der Verbesserung des Konzeptes eines angemessenen Wohnumfeldes für behinderte Frauen und Männer;
  2. Präventive und aktive Maßnahmen zur Eingliederung behinderter Menschen in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft, insbesondere durch ein europaweites Programm für "Mainstreaming", gestützt auf die UN Leitlinien der Menschenrechte zur Gleichbehandlung von behinderten Menschen, wodurch auch insbesondere eine volle Anerkennung der Anliegen behinderter Frauen und Männer in den europäischen Beschäftigungsleitlinien, europäischen und nationalen Beschäftigungspakten, sowie in die Maßnahmen des Europäischen Strukturfonds gewährleistet werden soll;
  3. Förderung integrativen Lernens für behinderte Kinder und Erwachsene, einschließlich dem Zugang zur beruflichen Bildung, gestützt auf das Prinzip des lebenslangen Lernens für behinderte Frauen und Männer, sowie ebenso Maßnahmen für behinderte Menschen, um den Zugang zur Bildung bzw. Berufsausbildung und den Aufbau von eigenen Unternehmen zu erleichtern;
  4. Förderung der Umorganisierung von Arbeitsplätzen und -praktiken, um die Beschäftigungsmöglichkeiten behinderter Frauen und Männer zu verbessern, wobei dem verbreitetem Einsatz neuer (Informations-)Technologien besondere Bedeutung zukommt;
  5. Weiterentwicklung geschützter Arbeitsplätze und Einrichtungen für behinderte Frauen und Männer mit der Möglichkeit der Integration auf den ersten Arbeitsmarkt sowie der vollen Wahrnehmung der Menschenrechte in diesen Bereichen; dem Ausbau von Arbeitnehmerrechten für die Beschäftigten geschützter Arbeitsplätze muß besondere Aufmerksamkeit zukommen.
  6. Entwicklung geschlechtsdifferenzierter statistischer Systeme und Definitionen von qualitativen und quantitativen Indikatoren, Einführung von ‘Benchmarks’ und vergleichende Studien, um die gleichberechtigte Beteiligung von behinderte Menschen in allen Politikbereichen und Pragrammen der EU zu ermöglichen;
  7. Gewährleistung von Freizügigkeit für behinderte Frauen und Männer, insbesondere durch eine koordinierte Verkehrspolitik und eine koordinierte Politik der sozialen Sicherungssysteme auf EU-Ebene, einschließlich ihrer Weiterentwicklung von Mindeststandards in diesen Bereichen;
  8. Einführung einer Systematik zur Prüfung der Barrierefreiheit aller Binnenmarktvorschriften unter garantierter Anwendung des Prinzips "Design for all", sowohl auf EU-Ebene als auch in den Mitgliedstaaten;
  9. Anerkennung der weltweiten Diskriminierungen behinderter Menschen, sowie die daraus resultierende verstärkte Berücksichtigung von Anliegen behinderter Frauen und Männer in der Entwicklungszusammenarbeit der Union;
  10. Weiterentwicklung eines gleichberechtigten und strukturierten Dialogs und Konsultation mit Behindertenorganisationen, in denen behinderte Menschen und betroffene Eltern von behinderten Kindern mehrheitlich vertreten sind;
  11. Förderung des Austausches von Informationen und "best practive", einschließlich Sensibilisierungsmaßnahmen zu den Anliegen behinderter Frauen und Männer auf nationaler und europäischer Ebene, dabei sollen auch Beispiele für Assistenz von Familien mit behinderten Menschen berücksichtigt werden;

Dieser Katalog von Initiativen wird allen sozialdemokratischen Regierungs- und Parteichefs zugeleitet, so daß in zukünftigen Initiativen für behinderte Menschen diese berücksichtigt werden können. Eine Überprüfung der Umsetzung ist für das Jahr 2002 vorgesehen.

Zehn Jahre nach dem Ende der U.N. Dekade, wird sich die SPE-Fraktion darüber hinaus dafür einsetzen, daß Jahr 2003 als Europäisches Jahr für behinderte Menschen zu erklären.